Die Krameramtsstuben

Das Bild, was sich den Besuchern und Besucherinnen nach Passieren der Tordurchfahrt bietet täuscht: Zu sehen ist vordergründig eine Hofanlage, 1676 vom Krameramt – so nannte sich die Zunft der Einzelhändler der Stadt – nach Kauf des Grundstücks für die Witwen der Zunftmitglieder erbaut. In zwei Zeilen, links und rechts entlang einer schmalen Gasse, entstanden damals die zweigeschossigen Bauten mit Kleinwohnungen.

Schaut man aber genau hin, passt das linke Gebäude auf hohem, massivem Sockel (Haus „a“) nicht in dieses Bebauungsschema, und auch das Haus rechts (Haus „m / n“) ruht auf einem massiven Sockel und ist nur über drei Stufen erreichbar. In der Tat handelt es sich beim Haus „a“ um ein Gartenhaus mit einem über eine Außentreppe hinter dem Haus (heute im Laden “b”) zu erreichenden Kellergewölbe und kleinen, in zwei Geschossen übereinander liegenden Aufenthaltsräumen. Es ist um 1620 erbaut, unmittelbar nachdem sich Hamburg einen gewaltigen Befestigungsring (1616-1628) durch den niederländischen Festungsbaumeister Johan van Valckenburgh auf Grund der damaligen unsicheren politischen Verhältnisse zu Beginn eines 30 Jahre Jahre dauernden Krieges (1618-1648) hat anlegen lassen. Der umfasste die damalige dicht bebaute Altstadt und mit viel Platz die bis dahin ungeschützte Neustadt.

Das veranlasste eine Reihe von reichen Bürgern dazu, dort „Lustgärten“ einzurichten, die heute noch durch zeitgenössische Stadtpläne, Zeichnungen und Berichte bekannt sind (Petrus Grooten, Karte von Hamburg aus der Vogelschau 1690). So der wohl berühmteste, der Anckelmann’sche Garten in der Poolstraße, der des Bürgermeisters Peter Lütkens beim Dammtor und so viele andere, alle gut eingezäunt wegen der kostbaren Blumen und mit einem Häuschen für kurze Aufenthalte ausgestattet. So muss man sich auch dieses Areal vorstellen. Als erster Eigentümer wird Jacob Steinwich im Grundbuch genannt, der hatte es vermutlich von seiner Mutter, einer geborenen Moller vom Baum, geerbt. Alsbald kam ein größeres „Landhaus“ (Haus „m / n“) dazu, heute noch durch seine prächtig bemalten Decken in Erdgeschoss und besonders in der oberen Etage - dem „piano nobile“ mit einem Festsaal - gegenüber den durchaus nicht ärmlichen, aber einfach hergerichteten Anlage der späteren Witwenwohnungen herausgehoben.

Aus der „Ämterzeit“ stammen das Zunftzeichen (Stein mit Balkenwaage und Elle), die auffällig gedrehten Schornsteinköpfe, die vor den Fenstern angebrachten Holzgestelle zum Wäschetrocknen (Rickenstaken) und die herausnehmbaren Brüstungen unter den Fenstern, um so den Transport der Möbel bei Umzügen besser vostatten gehen zu lassen. Das Haus mit Torweg von der Straße Krayenkamp kam um 1700 dazu und wurde eigenständig vermietet.
Die Zünfte wurden mit Einführung der Gewerbefreiheit (1864/65) aufgelöst, aus dem Nachlass kaufte die Stadt das Areal und nutzte die zunächst renovierten (1867) Häuser als Altenwohnungen bis 1969. Erst kurz vor 1900 wurde ein Wasseranschluss installiert, der bis dahin genutzte Brunnen zugeschüttet. Nach einer grundlegenden Renovierung 1971 bis 1974 erhielt die Gebäudegruppe ihre heutige Bestimmung. Es zogen die stadtbekannte „Galerie Mensch“ ein, das heute noch dort arbeitende Antiquariat und die Gaststätte. Das Museum für Hamburgische Geschichte richtete eine der Wohnungen im Stil der Zeit um 1850 / 60 ein.

2008 kaufte der Verein „Rettet die Deichstraße“ e.V. diese Gebäudegruppe, um eine Kommerzialisierung durch einen privaten Betreiber zu verhindern. Ein seit 2017 verfolgtes Investitionsprogramm soll die sich immer öfter als nachteilig empfundenen Mängel auffangen: Der immer nur kurzfristige Besuch von großen Gruppen im „Schatten“ des Michels, der geringe Bekanntheitsgrad bei Hamburgern und damit verbunden ein nur zögerlich sich vermehrender Besuch von Einzelreisenden. Das soll sich ändern!

Gerhard Hirschfeld

Literatur: Museum für Hamburgische Geschichte (Hrsg.): Gärten, Landhäuser und Villen des Hamburgischen Bürgertums. Hamburg 1975 S.28, (Kai Matthieu und Manfred Fischer), S.82 (Katalogteil), S. 165 (Bildteil)